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Schweizer Propaganda­konferenz

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  • Happening/Konferenz
  • Theater Neumarkt
  • 2019

Wie lernen wir Realität? Mit welchen kommunikativen Techniken und Produktionsmitteln werden uns politische, ökonomische und kulturelle Normen und Überzeugungen beigebracht? Und wie geben wir sie wiederum jeden Tag weiter und reproduzieren damit die verinnerlichten Vorstellungen des richtigen Lebens, Denkens und Fühlen - oder beginnen im Gegenteil, diese kritisch zu hinterfragen und subversiv zu unterwandern?

Es scheint, als befänden wir uns an einer Zeitenwende. Nach mehr als fünfhundert Jahren geprägt durch die Ausweitung der Kampf-, Handels- und Gefühlszonen hin zu einem globalen Horizont, scheinen «wir» Menschen allmählich wie aus einem langen Schlaf einer Geschichte gefühlter Über- und Unterlegenheit aufzuwachen. Was sich vor den Augen eröffnet, ist eine bisher nicht wahrgenommene Vielfalt an Geschichtsschreibungen, politischen Perspektivenwechsel, ökonomischen Verwicklungen, gebündelt in einer geballt-geladenen Gefühlswelt, die, beispiellos in dieser Art, über sämtliche mögliche Kanäle der Äusserungsmöglichkeiten nach Aufmerksamkeit und Anerkennung verlangt, ruft, flüstert, bittet, singt und schreit. Doch die zentrale Frage ist: wer hat die Produktionsmittel, um seine oder ihre Geschichte zu äussern und Wirklichkeit zu werden?

Aufmerksamkeit ist der Rohstoff, um den ein globaler Wettstreit entbrannt ist. Wie nie zuvor geht es darum, gesehen und gehört zu werden, sei es zum Zwecke der politischer Mobilisierung, zum Bewerben neuer Produkte, zum Stillen der Einsamkeit oder zur reinen Selbstdarstellung. Es geht um den Wettbewerb der Narrative, um das Bedürfnis der Individuen und Gruppen, sich ins gesellschaftliche, globale Gedächtnis einzuschreiben.

Die hohe Emotionalität, mit der dieser Wettstreit in den letzten Jahren geführt wird scheint dabei mit der Begrenztheit einer Ressource zusammen zu hängen: eine gemeinsam geteilte Öffentlichkeit. Sie ist das kollektive Bewusstsein, in welches die Bilder, Geschichten und Vorstellungen einer Gesellschaft immer wieder eingeschrieben werden. Sie ist die Bühne, auf der Menschen ihre Sicht auf die Wirklichkeit dar- und vorstellen und damit die Wirklichkeit mitgestalten. Daher wird sie wie keine andere gesellschaftliche Zone umworben und umkämpft. Dieses Umwerben, Erkämpfen, Gestalten, Manipulieren, Erzeugen und Herstellen von Wirklichkeit lässt sich auf einen Begriff bringen: Propaganda.

Der Schweizer Künstler, Regisseur und Autor Boris Nikitin untersucht in seinen Arbeiten seit zehn Jahren die Darstellung und Konstruktionsweisen von Realität und Identität. Als Regisseur von international tourenden Stücken, wie «Martin Luther Propagandastück» und «Hamlet» oder als künstlerischer Leiter der Biennale «It’s The Real Thing» zielt er auf die Unwägbarkeiten des Wirklichen und die potentielle Unzuverlässigkeit von Dokument und Information. Dabei ist die Manipulierbarkeit des Realen bei Nikitin weniger ein kulturpessimistischer Standpunkt, sondern immer zugleich auch Grundlage jeglicher Form der Emanzipation. Nur eine veränderbare Welt lässt sich verändern.

In der für das Neumarkt konzipierten und kuratierten Schweizer Propagandakonferenz (SPK) lädt Nikitin nun zwölf Positionen ins Theater, die von verschiedenen Richtungen her die Produktion von Öffentlichkeit und Wirklichkeit beleuchten oder direkt selbst aktivieren. Die zwölf Reden, Vorträge, Lecture-Performances und Gespräche drehen sich um Propaganda und sind selbst Propaganda.

Mit Imran Ayata, Brandy Butler, Didier Eribon, David Eugster, Deborah Feldman, Dean Hutton, Dragonfly aka Miss Justice Jester, Geoffory de Lagasnerie, Rabih Mroué, Franziska Schutzbach, Georg Seeßlen, StormStrömer / Worst Case Szenarios

Mit
Imran Ayata, Brandy Butler, Didier Eribon, David Eugster, Deborah Feldman, Dean Hutton, Dragonfly aka Miss Justice Jester, Geoffory de Lagasnerie, Rabih Mroué, Franziska Schutzbach, Georg Seeßlen, Storm/Störmer - Worst Case Szenarios
Konzept und Kuratorium
Boris Nikitin, in Zusammenarbeit mit der Leitung des Neumarkt
Dramaturgie
Nikolay Prawdciz

Eine Produktion des Theater Neumarkt